Zitat von Kassandra im Beitrag #12Allerdings kann ich mich da selbst auch nicht ganz von frei machen.
Das geht mir nicht anders. Um mich nicht weiter in irgendwelche überflüssigen Diskussionen verwickeln zu lassen, habe ich mich von den meisten Social Media Plattformen abgemeldet.
Schliesslich heisst es auch im I Ging beim Hexagramm 52, das Stillehalten, der Berg:
Sechs auf fünftem Platz bedeutet: Stillehalten seiner Kinnladen. Die Worte haben Ordnung. Die Reue schwindet.
Richard Wilhelm kommentiert:
Allein, wenn man sich im Reden zurückhält, so bekommen die Worte immer mehr eine feste Gestalt, und dann verschwindet jeder Anlass zur Reue.
Steht das nicht im krassen Gegensatz zum heutigen Verhalten vieler Menschen, die stets das Gefühl haben, nicht nur eine Meinung zu allem und jedem haben zu müssen, sondern diese ihren Mitmenschen - insbesondere auf Social Media - auch noch aufzudrängen?
Baltasar Gracian empfiehlt in seinem Werk, nicht allzu durchschaubar zu sein:
Mit offenen Karten zu spielen ist weder nützlich noch angenehm.
Man bleibe stets geheimnisvoll, um dadurch Ehrfurcht zu erregen, so Gracian.
Behutsames Schweigen ist das Heiligtum der Klugheit.
Und:
Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermutungen und Unruhe erhält.
Wahrlich, auf mein Leben zurückblickend muss ich feststellen, dass auch für mich vieles einfacher gewesen wäre, hätte ich nicht am Irrglauben festgehalten, Transparenz sei eine Tugend...
Zitat von Kassandra im Beitrag #4Irgendwie fällt mir da der Selbstoptimierungswahn ein, dem so viele verfallen sind. Also, ich finde die moderne Gesellschaft vermittelt einem sowieso schon das Gefühl, dass man sich stetig verbessern muss, in sämtlichen Bereichen.
Interessant ist, dass die Vorwürfe an die moderne Gesellschaft schon zu Zeiten des Dschuang Dsi ähnlich waren wie heute. So heisst es im wahren Buch des südlichen Blütenlandes im Kapitel "Das wahre Ziel":
Was man heute unter Erreichung des Ziels versteht, sind Staatskarossen und Kronen. Staatskarossen und Kronen sind aber nur etwas Äusserliches und haben nichts zu tun mit dem wahren LEBEN. (...) Heutzutage aber verlieren die Leute ihre Freude, wenn das Vorübergehende sie verlässt. Von diesem Gesichtspunkt aus sind sie auch mitten in ihrer Freude immer in Unruhe. Darum heisst es: Die ihr Selbst verlieren an die Aussenwelt, die ihr Wesen preisgeben an die andern: das sind verkehrte Leute.
Zitat von Kassandra im Beitrag #6Ja, das Zitat hätte durchaus auch aus heutiger Zeit sein können. Bei anderen Sachen aus dem Taoismus frage ich mich zeitweilig, ob es noch zeitgemäß ist bzw. heute noch in der Form durchführbar und übertragbar.
Auch wenn mir jetzt nicht ganz klar ist, welche Sachen aus dem Taoismus Du im Speziellen meinst, so macht es für mich Sinn, alte Texte immer so zu lesen, dass sie für mich hier und heute Sinn ergeben. Mir geht es ja weniger um eine akademische Auseinandersetzung mit dem Taoismus, sondern lediglich darum, ob ich etwas aus diesen Schriften für mich persönlich und für meine Frau gewinnen kann. Sei es für unser Startup, unsere Ehe, unsere Gesundheit oder unsere Spiritualität. Was mir nicht zusagt oder mir nicht realistisch erscheint, lasse ich einfach weg.
Zitat von Kassandra im Beitrag #4Irgendwie fällt mir da der Selbstoptimierungswahn ein, dem so viele verfallen sind. Also, ich finde die moderne Gesellschaft vermittelt einem sowieso schon das Gefühl, dass man sich stetig verbessern muss, in sämtlichen Bereichen.
Und sogar das I Ging tut es.
So zum Beispiel im ersten Hexagramm, dem Schöpferischen, welches die einzelnen Entwicklungsstufen des Edlen aufzeigt. Schon im Bild des Zeichens heisst es:
Des Himmels Bewegung ist kraftvoll. So macht der Edle sich stark und unermüdlich.
Ich habe nichts gegen Selbstoptimierung. Man darf nur nicht den Blick für das Wesentliche verlieren und stets wissen, worauf es (für sich selbst) wirklich ankommt.
KM2022 hat einen neuen Beitrag "Weibliches Dao" geschrieben. 10.02.2023
Das ist genau das Interessante. An sich ist das Dao ungeteilt (noch vor Yin und Yang) und trotzdem wird es im Tao Te King an mehreren Stellen als weiblich beschrieben. Die hier beschriebene Weiblichkeit ist aber nicht mit Yin gleichzusetzen.
Das von Wu angeführte Zitat findet sich übrigens auch im Buch Taoismus aus dem Jahr 1985 von Anton Kielce wieder:
"Einmal Yin und einmal Yang ergibt das Tao." Diese einem sehr alten Buch, dem Hi ts'en, entnommene Lebensweisheit wird als die erste gelehrte Definition des Tao angesehen.
Ja, vermutlich geht es genau darum: Man versucht sich auf seinem (Lebens-) Pfad stets zu verbessern. Der Weg ist das Ziel, wie man so schön sagt.
KM2022 hat einen neuen Beitrag "Weibliches Dao" geschrieben. 09.02.2023
Aus reiner Neugierde habe ich mal bei Gábor Karátson nachgeschaut, wie er den sechsten Vers aus dem Chinesischen ins Ungarische übersetzt hat.
Zur Erinnerung, den 6. Vers des TTK übersetzt Richard Wilhelm wie folgt:
Der Geist des Tals stirbt nicht, das heißt das dunkle Weib. Das Tor des dunklen Weibs, das heißt die Wurzel von Himmel und Erde. Ununterbrochen wie beharrend wirkt es ohne Mühe.
Karátson übersetzt aus dem Chinesischen ins Ungarische wie folgt:
a Völgy Szelleme nem hal meg mondhatjuk rá a Misztikus Mama a Misztikus Mama kapuja Ég és Föld gyökere maga selyem selyem mintha volna vele élni könnyü volna
Wenn ich das nun ins Deutsche übersetze, sieht es so aus:
Der Geist des Tals stirbt nicht wir können sie die Mystische Mutter nennen Das Tor der Mystischen Mutter ist selbst die Wurzel von Himmel und Erde Als wäre sie seidige Seide mit ihr zu leben wäre einfach
Also auch hier wieder die Betonung des Weiblichen.
KM2022 hat einen neuen Beitrag "Neuzugang" geschrieben. 09.02.2023
KM2022 hat einen neuen Beitrag "Weibliches Dao" geschrieben. 08.02.2023
Hallo, Wu
Du schreibst:
Andererseits heisst es schon im I Ging: "Einmal Yin, einmal Yang, das ist das Dao."
Habe mich über dieses Zitat ein bisschen gewundert, da es meiner Meinung nach etwas Verwirrung stiftet.
Ich nehme an, Dein Zitat betrifft das Kapitel V. im Da Dschuan, der grossen Abhandlung.
Aus meiner Sicht ist die Übersetzung dieser Stelle bei Richard Wilhelm etwas verständlicher:
Was einmal das Dunkle und einmal das Lichte hervortreten lässt, das ist der SINN.
Hier sehen wir, dass das Dao eine tiefere Schicht als Yin und Yang darstellt. Es hat die beiden Prinzipien hervorgebracht, ist aber - in der Logik des I Ging - selbst weder weiblich noch männlich, nicht dunkel oder hell.
Ich habe weiter oben darum geschrieben, dass das etwas verwirrend ist, weil sich auf diese Weise das I Ging nicht so einfach mit dem TTK zusammenbringen lässt:
Wenn man sagt, das Dao sei weiblich (im TTK die Mutter, das dunkle Weib etc.), macht es wenig Sinn, wenn es dann das männliche und weibliche Prinzip hervorbringt. Vielleicht kommen Begrifflichkeiten hier schlichtweg an ihre Grenzen. Obschon die Mutter an sich weiblich ist, ist sie doch nicht mit dem Yin gleichzusetzen.
Richard Wilhelm schreibt in einem Kommentar zum Da Dschuan, dass der SINN ein Spannungsfeld zwischen Yin und Yang bewirkt, aber dabei nicht in Erscheinung tritt.
KM2022 hat einen neuen Beitrag "Weibliches Dao" geschrieben. 07.02.2023
Hallo, Kassandra
Wenn wir den Daoismus als Schule bzw. Organisation betrachten, würde ich nicht sagen, dass er besonders weiblich wäre - erst recht nicht feministisch im heutigen Sinne. Wenn man die taoistischen Klassiker liest, ist dort kaum über Frauen bzw. weibliche Figuren die Rede. Frauen spielen so gut wie keine Rolle. Spontan fällt mir nur "Die beiden Weiber" aus dem Liä Dsi ein.
Das Dao selbst hingegen scheint in der Tat weiblich zu sein. Davon handeln mehrere Stellen im TTK.
So zum Beispiel das dunkle Weib:
Der Geist des Tals stirbt nicht, das heißt das dunkle Weib. Das Tor des dunklen Weibs, das heißt die Wurzel von Himmel und Erde. Ununterbrochen wie beharrend wirkt es ohne Mühe.
oder im 20. Vers:
Ich allein bin anders als die Menschen: Doch ich halte es wert, Nahrung zu suchen bei der Mutter.
Alles hat heutzutage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst, sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu einem Weisen, als es in alten Zeiten zu sieben, und mehr ist erfordert, um mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volke.
Baltasar Gracian
Anmerkung KM: Es gibt Gedankengänge, die scheinen über Jahrhunderte hinweg stets aktuell zu bleiben.