Tao Forum

Dreißig Speichen treffen sich in einer Nabe:
gerade deren Nicht-Sein ist des Wagens Brauchbarkeit.

Knete Ton, entsprechend forme ein Gefäß:
Genauso ist dessen Nicht-Sein des Gefäßes Brauchbarkeit.

Stemme Fenster und Türen aus, entsprechend bilde Wohnraum:
Ebenso ist sein Nicht-Sein des Raumes Verwendbarkeit.

Daher: Das Sein bewirkt dabei Vorteile,
das Nicht-Sein bewirkt dabei Verwendbarkeit.

Ein Gefäß ist aus Ton geformt, doch nützlich wird es durch den leeren Raum in seinem Inneren. Der leere Raum im Zentrum eines Rades ermöglicht es dem Rad, sich zu drehen. Fenster und Türen sind leere Räume in Wänden. Ein Raum kann nur benutzt werden, weil er Leere ist.
Was wertvoll ist, entsteht aus dem, was ist; was nützlich ist, entsteht aus dem, was nicht ist.
Kümmere dich deshalb ebenso um das Unbekannte wie um das Bekannte. Es ist ebenso wertvoll zu wissen, wie es nützlich ist, nicht zu wissen. Nicht-Wissen ist ein Anfangen, doch Wissen ist ein Enden. Nicht-Wissen ist die Ungewißheit, die Bewegung möglich macht. Wenn es nur Bekanntes gäbe, könnte sich niemand in der Gewißheit bewegen. Schreite von Unbekanntem zu Unbekanntem fort. Gewißheit bindet, Ungewißheit befreit.
Kümmere dich um das Ungewisse ebenso wie um das Gewisse. Bewege dich in Fragen, und hüte dich vor Antworten. Sobald du dir Gewißheit zu eigen machst, bist zu verloren. Finde die Antwort, und du liegst falsch. Antworten verschließen, Fragen öffnen. Finde den Raum zwischen Gedanken, die Ungewißheit zwischen Gewißheiten.
Suche, was ist, aber suche auch, was nicht ist. Fülle, aber leere auch. Anfänge treten nur in Erscheinung, wenn Leere existiert. Kultiviere die Leere, die empfängt, die Ungewißheit, die versteht. Suche das Leere; heiße das Veränderliche willkommen. Ohne Leere kann nichts Neues empfangen werden, und deshalb kann auch nichts mehr gelernt werden. So füllt der Weise alle, doch ihre Leere bleibt.

Dreißig speichen treffen die nabe,
aber das runde leere zwischen ihnen ist das wesen des rades.
Aus ton entstehen töpfe,
aber das leere in ihnen macht das wesen des topfes aus.
Mauern mit fenstern und türen bilden ein haus,
und gerade dort, wo nichts ist, liegt sein wesen.

Grundsätzlich gilt:
Die dinge aus ihrem selbst heraus zu beachten,
scheint nützlich zu sein, ist es jedoch nicht.
Der körper, der sein selbst als krug fühlt oder als wasser oder
als mensch, ist teil derselben wirklichkeit, unterschiedslos.
Sein wesen ist, wo wir nichts sehen und nichts anfassen können.

Wand und Boden, woraus der Krug besteht und wodurch er steht, sind nicht das eigentlich Fassende. Wenn dies aber in der Leere des Kruges beruht, dann verfertigt der Töpfer, der auf der Drehscheibe Wand und Boden bildet, nicht eigentlich den Krug. Er gestaltet nur den Ton. Nein - er gestaltet die Leere.
Für sie, in sie und aus ihr bildet er den Ton ins Gebild. Der Töpfer faßt zuerst und stets das Unfaßliche der Leere und stellt sie als das Fassende in die Gestalt des Gefäßes her. Die Leere des Kruges bestimmt jeden Griff des Herstellens. Das Dinghafte des Gefäßes beruht keineswegs im Stoff, daraus es besteht, sondern in der Leere, die faßt.

Ein gründliches Auge sieht scharf, ein gründliches Ohr hört genau, eine gründliche Nase riecht empfindlich, ein gründlicher Mund hat Geschmack, ein gründlicher HerzGeist hat Wirkkraft. Überall, wo das Dao ist, gibt es keine Verstopfung; Verstopfung führt zu Atemnot; wenn Atemnot nicht aufhört, zappelt man; Zappeln schadet allem Leben. So machen Lebewesen die Erfahrung, daß [alles] auf Atmung beruht; reicht sie nicht aus, so ist das kein Fehler der Natur. Von der Natur her ist für sie gesorgt, Tag und Nacht, unaufhörlich, doch der Mensch ist darauf bedacht, seine Öffnungen zu verschließen. Der (Mutter-) Leib weitet sich um ein Vielfaches, der Herz-Geist streift durch die Natur. Ist das Haus nicht geräumig genug, dann zanken Frau und Schwiegermutter wie Sturzbäche; streift der Herz-Geist nicht durch die Natur, kommen sich die sechs Sinne ins Gehege. Große Wälder, Hügel und Berge tun den Menschen gut, ihr Geist ist unbesiegbar.