Tao Forum

Kapitel 1: Die Lebensessenz (Jing) und der Lebensatem (Qi)

Die Essenz der Zehntausend Wesen ist es,
die ihnen das Leben gibt.
Unten werden die Fünf Getreide hervorgebracht,
oben die Anordnung der Sterne.
Die Essenz fliesst zwischen Himmel und Erde:
dort wohnen die Geister und die göttlichen Wesen.
Jene, die die Lebensessenz in der Brust speichern können,
nennen wir "die Weisen".
Der Lebensatem:
So klar! Hinaufsteigend zum Himmel.
So dunkel! Eintretend in den Abgrund.
Ungeheuer gross! Durchdringend die Ozeane.
So fest! Wohnend in einem selbst.
Der Lebensatem kann nicht fixiert werden durch äussere Kraft
aber er kann gespeichert werden durch die Tugend (De).
Er kann nicht gerufen werden durch die Stimme,
doch er kann einkehren durch Konzentration und Achtsamkeit.
Bewahre ihn ehrfurchstvol und verliere ihn nicht -das nennt man das Entwickeln der tiefen Tugend.
Wenn sich die tiefe Tugend entwickelt und daraus die Weisheit hervorgeht,
dann werden die Zehntausend Dinge - bis zum letzten hin - erfasst.

Kapitel 2: Die Natur des Herzens (Xin)

Alle Erscheinungsformen des Herzens (Xin)
sind von Natur aus durchflossen und gefüllt mit der Lebensessenz,
sind von der Natur erzeugt und entwickeln sich daraus.
Das geht aber unweigerlich verloren
durch Sorge, Glück, Freude, Zorn, Begehren und Gewinnsuche.
Wenn Du im Stande bist, diese Gefühle und Gedanken abzulegen,
dann wird Dein Herz sofort zurückkehren zur Gelassenheit.
Der wahre Zustand des Herzens ist es,
dass es die Stille als wohltuend empfindet
und dadurch völlig ruhig wird.
Störe die Ruhe nicht, unterbrich nicht die Stille
und Harmonie und Ausgeglichenheit werden sich natürlich entwickeln.

Kapitel 3: Das Dao

So funkelnd! Als ob es gerade neben dir wäre
So trüb! Als ob es nie begriffen werden könnte
Unbeschreibbar! Noch hinter dem Grenzenlosen.
Dabei ist es doch so urgründig und gegenwärtig:
täglich nutzen wir seine Wirkkraft.
Das Dao fül t die Formen und Körper und durchfließt sie,
doch die Menschen können es nicht halten.
Einmal verloren, kommt es vielleicht nicht mehr zurück,
zurückgekehrt verbleibt es möglicherweise nicht.
So still ! Niemand hört seinen Ton.
So fest! Es verbleibt im Herzen.
So dunkel! Wir können seine Form nicht sehen.
So überfliessend! Mit mir geboren.
Wir hören nicht seinen Klang,
wir sehen nicht seine Gestalt.
Doch alles, was es tut,
ist vollkommen geordnet.
Wir nennen es "Dao".
Das Dao hat keinen fixen Platz wie der Nordstern:
es wächst aber friedlich in einem guten Herzen.
Wenn das Herz still ist und der Lebensatem (qi) ausgerichtet,
dann kann das Dao zum Halten gebracht werden.
Das Dao ist nicht weit weg von uns:
wenn Menschen es erhalten, dann sind sie beständig.
Das Dao ist nicht von uns getrennt:
wenn Menschen mit ihm übereinstimmen, dann sind sie im Einklang.
Daher:
Wie fest und konzentriert! Als ob Du an das Dao festgebunden wärest.
Wie entfernt! Als ob es jenseits aller Grenzen wäre.
Der natürliche Zustand das Daos:
jenseits allen Denkens und jenseits jeder Stimme.
Verfeinere Dein Herz und lass Deine Gedanken ganz ruhig werden:
so kannst Du das Dao erlangen.
Das Dao ist,
wovon der Mund nicht sprechen kann,
ist, was das Auge nicht sehen kann,
ist, was das Ohr nicht hören kann.
Es ist das,
mit dem wir das Herz verfeinern
und den Körper ausrichten können.
Menschen sterben, wenn sie es verlieren,
Menschen leben, wenn sie es erhalten.
Die täglichen Geschäfte scheitern, wenn es verloren ist
,sie gelingen, wenn es erhalten wird.
Es hat weder Wurzeln noch einen Stamm,
weder Blätter, noch Blüten.
Die Zehntausend Dinge werden durch es geboren,
sie wachsen durch es und gelangen zur Reife.
Das nennen wir: Dao.

Kapitel 4: Der Weise

Des Himmels Regel ist es ausgerichtet zu sein,
der Erde Regel flach zu sein,
des Menschen Regel ist die Ruhe.
Frühling, Herbst, Winter und Sommer
sind die Jahreszeiten des Himmels.
Berge, Hügel, Täler und Flüsse
sind die Glieder der Erde.
Freude und Ärger, Nehmen und Abweisen -
das sind die Verhaltensweisen des Menschen.
So ist der Weise:
Er passt sich den Zeiten an, wird dabei aber nicht verändert.
Er folgt den Dingen, wird aber nicht von ihnen bewegt.
Er ist ausgeglichen und ruhig und so ist er fest.
Mit einem ruhigen Herzen in Dir
sind die Augen scharf und die Ohren klar,
die vier Glieder stark und gefestigt.
So wird der Weise zur Wohnstatt der Lebensessenz.
Die Lebensessenz ist die Essenz des Lebensatems (Qi).
Wenn der Lebensatem geführt wird, dann entsteht auch die Lebensessenz.
Dadurch entstehen auch die Gedanken.
Mit den Gedanken entsteht Wissen.
Mit dem Wissen ist die Grenze erreicht und Du musst aufhören.
Wenn die Gedanken und Gefühle des Herzens
nach Wissen und noch mehr Wissen streben,
dann geht das Leben verloren.

Kapitel 5: Das Eine

Sich mit den Dingen vereinen und sie doch formen können -
das nennt man den Geistern (Shen) gleich.
Sich mit den täglichen Geschäften vereinen und sich anzupassen -
dies nennt man Weisheit.
Sich zu verändern, ohne dabei Lebensatem zu verlieren,
sich anzupassen, ohne dabei die Weisheit zu verlieren -
nur ein Edler, der am Einen festhält, kann dies erreichen.
Eng ans Eine sich haltend, es nicht verlierend,
kann er zum Herrscher der Zehntausend Dinge werden.
Der Edle handelt mit den Dingen - er wird nicht von den Dingen bewegt.
Warum dies? Weil er sich an die Führungskraft des Einen hält.
Mit einem ausgerichteten Herzen in der Mitte,
sind auch die Worte aus seinem Mund geordnet
und dadurch sind seine Befehle und seine Geschäfte geordnet.
"Wenn das eine Wort verinnerlicht ist,
wird alles unter dem Himmel sich fügen.
Wenn das eine Wort gefestigt ist,
dann werden alle unter dem Himmel zuhören."
Es ist das Wort "Dao", auf das dieser Spruch hinweist.

Kapitel 6: Körper, Geist und Lebensessenz

Wenn der Körper nicht ausgerichtet ist,
wird die innere Kraft nicht kommen.
Wenn die Mitte nicht ruhig ist,
wird das Herz nicht geordnet sein.
Richte den Körper aus, unterstütze die innere Kraft,
dann wird sich alles ganz natürlich entwickeln.
Das Geistige (Shen): niemand kennt seine Grenzen.
Es erkennt aber die Zehntausend Dinge.
Halte es in Dir, lass es nicht entfliessen.
Beschäftige Deine Sinne nicht mit den äußeren Dingen.
Beschäftige Dein Herz nicht mit Deinen Sinnen.
Das nennt man: "Den Geist in Dir ergreifen".
Da ist das Geistige, das ganz natürlich in Dir ist.
Es kommt und geht - niemand weiß genau wie.
Wenn Du es ganz verlierst, dann bist Du unweigerlich in Unordnung.
Wenn Du es erhältst, dann bist Du unweigerlich gut geordnet.
Säubere sorgfältig die Wohnstatt des Geistes -
und die Lebensessenz wird ganz natürlich einkehren.
Vermindere Deine Versuche, Dir den Geist vorzustellen und ihn zu erhalten.
Vermindere Deine Anstrengungen, über den Geist nachzudenken
oder ihn zu kontrollieren.
Sei ehrerbietig und fleißig
und die Lebensessenz wird ganz natürlich bewahrt.
Verinnerliche sie und lass sie nicht gehen.
Dann werden die Augen und Ohren nicht überfließen
und das Herz wird nichts anderes zu sehen haben.
Wenn ein nach dem Geist ausgerichtetes Herz in Dir wohnt,
dann wirst Du die Zehntausend Dinge in ihren natürlichen Beziehungen
sehen.

Kapitel 7: Das Herz im Herzen

Das Dao füllt die ganze Welt.
Es ist überall, wo Menschen sind.
Aber die Menschen sind unfähig,
das zu verstehen.
Ein Wort beschreibt es:
Aufsteigend den Himmel erreichend,
absteigend die Grenzen der Erde
überfüllt es die Neun Erdteile.
Wie kann das sein?
Es ist so durch das ruhige Herz.
Wenn das Herz geordnet ist,
dann sind auch die Sinne ausgerichtet,
wenn das Herz ruhig ist,
so sind auch die Sinne ruhig.
Was sie ordnet, das ist das Herz,
was sie beruhigt, das ist auch das Herz.
Das Herz wird gebraucht um das Herz zu beherbergen.
In der Mitte des Herzens ist noch ein Herz.
Das Herz im Herzen.
Der ursprüngliche Anfang geht den Begriffen voraus.
Er führt zu den Formen,
die Formen führen zu den Unterscheidungen,
die Unterscheidungen zum Handeln,
das Handeln bringt Ordnung.
Nicht beständig geordnet sein führt zur Unordnung.
Die Unordnung führt zum Tode.

Kapitel 8: Die fliessende Essenz

Wo die Essenz bewahrt wird,
dort entsteht aus sich selbst heraus Leben.
Äußerlich blüht sie in Genügsamkeit,
Innerlich gespeichert und bewahrt wird sie zur Quelle.
Wie ein Fluss gleicht sie alles aus und füllt alles aus,
kehrt zurück zur ursprünglichen Quelle des Lebensatems.
Wenn diese Quelle niemals versiegt,
dann sind die vier Glieder fest.
Wenn die Quelle sich nicht erschöpft und vertrocknet,
kreist der Lebensatem durch alle Neun Körperöffnungen.
Deshalb kann einer Himmel und Erde erschöpfen
und die vier Meere bedecken.
Innerhalb gibt es keine verwirrenden Gedanken,
außerhalb kein Unheil.
Ist das Herz innen vollkommen,
so wird der Körper auch außen vollkommen.
Wer kein Unheil vom Himmel herab erhält
und wer vom Bösen durch andere Menschen verschont wird,
der wird ein Weiser genannt.

Kapitel 9: Körperliche Vollkommenheit

Wenn Menschen die ausgeglichene Ruhe halten können,
dann ist ihre Haut zart, ihr Fleisch ist voll, ihre Augen sind scharf,
die Ohren helhörig, die Muskeln geschmeidig, die Knochen fest.
So können sie den großen Kreis des Himmels tragen
und fest über das große Viereck der Erde schreiten.
Sie werden die Dinge widerspiegeln mit großer Reinheit
und Dinge von großer Klarheit erhalten.
Ehrfürchtig lassen sie sich vom Dao führen und weichen nicht ab.
Täglich erneuern sich ihre Innere Kraft (De)
und können dadurch alles unter dem Himmel erkennen,
alles erschöpfen innerhalb der vier Pole der Erde,
achtsam nähren ihre Fülle.
Das wird genannt: "Inneres Erreichen".
So zu sein und nicht umzukehren -
das ist Leben ohne fehlzugehen.

Kapitel 10: Das Dao üben

Um mit dem Dao ganz eins zu sein
sammle Dich und übe
atme tief, ohne Dich anzustrengen
sei bestimmt und regelmäßig.
Halte die Fähigkeiten, lass sie nicht entschwinden.
Verjage die Ausschweifungen, lass vom Gewöhnlichen.
Wenn du dann vom Letzten weißt,
wirst du zurückkehren zum Dao und seiner Wirkkraft.